Rundschaubericht Barrelhouse Jazzband vom Montag, 12.02.2018.
Bericht & Foto: RICHARD FÄRBER
Groovende Geschichten
Die Barrelhouse Jazzband spielt zum dritten Mal in Gaildorf. Beim Jazzfrühschoppen der Kulturschmiede im Kernersaal werden Klassiker neu interpretiert.
Wenn man 57 Jahre lang in einer Band gespielt hat, dann darf man auch den ein oder anderen Auftritt vergessen. Man spiele ja jetzt schon zum zweiten Mal beim Jazzfrühschoppen der Kulturschmiede, sagt Frank Selten, Multi-Saxophonist und Conferencier der Barrelhouse Jazzband, und reckt zwei Finger hoch. Das gibt gestischen Widerspruch: in den vorderen Reihen im nahezu ausverkauften Kernersaal recken sich Hände mit drei gestreckten Fingern. Und weil wieder so gut wie ausverkauft ist, kann man daraus schließen, dass die dienstälteste Jazzband Deutschlands bei ihren vorherigen Auftritten in Gaildorf nicht viel falsch gemacht hat.
Die Gruppe erscheint an diesem Vormittag allerdings etwas ausgedünnt. Neben Selten zählt nur noch der Trompeter, Posaunist und Komponist Horst Schwarz, von dem auch einige Stücke zu hören sein werden, zu den Band-Senioren. Der 78-jährige Reimer von Essen, Bandleader seit 1962, freut sich über ein neues Knie, rekonvalesziert aber noch und kann nicht spielen. Für ihn ist der vergleichsweise junge Klarinettist und Altsaxophonist Sven Hack dabei. Auch der langjährige Gitarrist Roman Klöcker fehlt krankheitsbedingt – die Bassistin Lindy Huppertsberg, der Pianist Christof Sänger und der Schlagzeuger Michael Ehret tun freilich mit großem Erfolg so, als fehle keiner.
„Barrelhouses“ nannte man einst die Kneipen der Schwarzen in der USA. Meist stand ein Klavier drin und daran saßen dann Leute wie Cow Cow Davenport, Champion Jack Dupree oder, erkennbar am Stumpen im Mund, Roosevelt Sykes, und hämmerten, damit man sie im Kneipengetöse auch wahrnahm, in die Tasten, was das Zeug hielt. Hier entstand der Boogie-Woogie – im „Haus der Fässer“ wurde Musikgeschichte geschrieben.
Mit kreativem Respekt
Eine Museums- oder Nostalgikerband, wie es der Name möglicherweise nahelegt, ist die Barrelhouse Jazzband allerdings nicht. Die bereits 1953 gegründete Formation arbeitet zwar mit betagtem Material beziehungsweise mit den Elementen früher Stilrichtungen, ist dabei aber weit entfernt von jeglicher Sentimentalität. Die Musiker behandeln die Kompositionen von Jelly Roll Morton, King Oliver, Fats Waller oder Duke Ellington mit jenem kreativen Respekt, den auch die Interpreten klassischer Musik ihren Quellen entgegenbringen.
Und mit Witz und Wissen: Am Ende des Konzertes weiß man, dass Jelly Roll Morton einst in einer Bar in Tijuana Klavier gespielt hat, was Duke Ellington einmal zu einem Taxifahrer sagte und dass der Saxophonist und Klarinettist Mezz Mezzrose nebenbei recht erfolgreich Marihuanazigaretten vertickte, die dann in Harlem „Mezzrose“ genannt wurden. Ein bisschen Seminar ist immer.
Dazwischen aber wird’s hitzig bis heiß und bisweilen sehr modern. Die Barrelhouse Jazzband pflügt mit großer Eleganz durch die Grooves, glänzt mit seidenweichen Bläsersätzen und virtuos ineinander verschlungenen mehrstimmigen Soli – und am Schluss, das muss beim Pferdemarktfrühschoppen einfach sein, bilden die drei Bläser eine Marching-Band und ziehen durch den Saal.
Der Swing – „nicht da, da, da, sondern dadah, dadah, dadah“, erklärt Selten – dominiert das Konzert, dazwischen kreisen karibische Rhythmen und Mardi-
Gras-Figuren und am Ende des ersten Sets schaukelt Ellingtons „Caravan“ durch den Kernersaal und entwickelt sich unter den Händen des geradezu enthemmt spielenden Christof Sänger zu einer Speed-Nummer, wie man sie selten gehört hat.
Paul McCartneys „Let it be“ ist das jüngste Stück im Programm, Horst Schwarz hat es für die Barrelhouse Jazzband so arrangiert, dass eigentlich gar nicht mehr auffällt, dass es erst 1970 geschrieben wurde. Der wohl größte Aufreger aber dürfte George Gershwins „I got Rhythm“ gewesen sein. Sven Hack und die Rhythmus-Gruppe spielen den Klassiker im Quartett und bauen ihn Note um Note zu einer verwegenen Hardbop-Nummer auf, die weit in die Zukunft weist.
„Eminenter Tastenhengst“
Auch hier erweist sich der übrigens klassisch ausgebildete und mit allen Wassern gewaschene Tastenfex Christof Sänger als Erster unter Gleichen. Frank Selten würdigt den bestaunenswerten Virtuosen und Tastenlangstreckenläufer mit einem Gedicht von Heinz Erhard: „Oh eminenter Tastenhengst, der du der Töne Schlachten lenkst und sie mit jeder Hand für sich zum Siege führst, dich preise ich!“
Das geht zwar noch ein paar Zeilen weiter, aber das Wesentliche ist damit gesagt.
Text zum Foto:
Die Barrelhouse Jazzband macht beim Jazzfrühschoppen im Kernersaal Stimmung. Von links: Christof Sänger, Lindy Huppertsberg, Frank Selten, Michael Ehret, Horst Schwarz und Sven Hack.